Kicken hinter Gittern
11.08.2025
Ein Artikel des Münchner Merkur vom 7. August 2025
Quelle: Nico-Marius Schmitz/
© Münchner Zeitungsverlag
Foto: © Stefan Matzke

Foto © Stefan Matzke
Erstmals nach sechs Jahren fand in der JVA München wieder der Stadelheim CUP statt. Unsere Zeitung durfte dabei sein.
- von Nico-Marius Schmitz -
München - Und plötzlich fliegt der Ball in den Hochsicherheitsstreifen. Ein Gefangener zuckt kurz: Darf ich? Ein Wärter wird losgeschickt, das Spiel läuft weiter. Es sind diese kuriosen Momente, in denen allen Beobachtern wieder bewusst wird: Das ist eben kein normales Fußballturnier. Der Wachturm hinter einer Eckfahne, die hohen Mauern, der Stacheldraht. Und dazwischen der Rasen, der für ein paar Stunden Freiheit bedeutet. Sechs Stationen der Justizvollzugsanstalt München spielen um den Stadelheim CUP.
2006, als Deutschland sich beim „Sommermärchen“ wieder in den Fußball verliebte, wurde das Turnier ins Leben gerufen. Jugendliche bastelten in der Anstalt im Rahmen der Arbeitstherapie einen eigenen WM-Pokal. Was die FIFA kann, können wir schon lange. Auf dem Pokal werden seit jeher die Namen der Siegerteams verewigt. Nicht eingraviert, wie beim prominenten Vorbild, aber fein säuberlich mit Edding draufgeschrieben.
Doch in den letzten Jahren blieben die Felder blank. Sechs Jahre ohne den Stadelheim CUP. Erst kam Corona und dann brauchte es halt wen, der auch seine Freizeit dafür opfert, um alles zu organisieren. Zum Glück gibt es in Stadelheim Mitarbeiter Jakob Kauk. Über Monate plante er das Comeback. „Ein riesiger Aufwand“, sagt er. Die Bürokratie, die ganzen Genehmigungen, vermutlich für jede Bierbank ein eigenes Formular. Kauk trainiert eine Mannschaft in der A-Klasse, als Spieler feierte er zwei Aufstiege. Und nun darf der 31-Jährige auch Stadelheim-Cup-Wiederbeleber in seine Vita schreiben. „Das ist seit Wochen das Thema Nummer eins im Gefängnis“, sagt er: „Alle sind heiß wie Frittenfett.“
Beim Gang Richtung Fußballfeld hört man aus den Zellen schon Motivationsrufe. Ein letztes lautes, gemeinsames Abklatschen, bevor um die Ehre der Gefängnis-Bauten gespielt wird. „Sieg, Sieg“, schallt es aus den Betonklötzen. Neben dem Feld stehen vier Bierbänke mit Sonnenschirmen.
Auf einem Tisch stehen das Objekt der Begierde, der Pokal – und ein golden angemalter Schuh für den besten Spieler des Turniers. Die Linien auf dem Feld sind nicht akkurat gezogen, sondern hier und da mit kreativen Abweichungen. Die Gärtnerei hat keine Ahnung von Fußball, heißt es. Kauk und sein Vorgesetzter haben sich persönlich um die Markierungen gekümmert.
Eine Rote Karte führt direkt in die Zelle
Sechs Mannschaften treten an. Die Wäscherei hat kein Team zusammenbekommen, aber kurzfristig wurde Ersatz gefunden. Drei Jugendstationen, eine Erwachsenenwohngruppe, ein Betrieb von Erwachsenen, die Einwegpaletten herstellen – und die Sozialtherapeutische Station für Gewaltstraftäter, die übrigens Rekordsieger ist. Die Bänke sind schnell mit neugierigen Mitarbeitern und Wärtern besetzt, um das Spielfeld herum sammeln sich Gefangene, die zuschauen dürfen. Hurra, hurra, halb Stadelheim ist da.
Vor Turnierstart gibt es noch eine Ansprache von Kauk. „Haut euch bitte nicht die Beine weg“, sagt er. Der Spaß soll heute im Vordergrund stehen. Bei einer Roten Karte geht es zurück in die Zelle. Und dann pfeift Michael Lang vom TSV Eintracht Karlsfeld an. „Ich habe vermutlich schon gefährlichere Spiele gepfiffen“, sagt der Schiedsrichter. Er habe nicht eine Sekunde darüber nachgedacht, bevor er die Zusage gab.
Ein JVA-Mitarbeiter hält ein Plakat mit den Namen einer Station hoch. „Das ist die größte Motivation, die ich je gesehen habe. Gänsehaut“, sagt ein Gefangener im Vorbeigehen. Ein anderer Jugendlicher ruft Herrn Kauk zu, dass er ihn heute stolz machen wolle.
An der Seitenlinie tanzt der Leiter einer Jugendstation nach jedem Tor. Die Justiz-Beamten sind heute auch Trainer. Herr S. nennt sich mit einem breiten Grinsen den Franz Beckenbauer des Stadelheim CUPs. Einmal, als Not am Mann war, hat er sich selbst als Torwart eingewechselt und gewonnen. Den Sieg wiederholte er als Betreuer. Schnell wird klar, dass sich „Alle sind heiß wie Frittenfett“ auf Gefangene wie Mitarbeiter bezieht. Schwer einzuschätzen, wer motivierter ist.
„Ich liebe dich, du Maschine“, hallt es nach dem ersten Tor über das Feld. Ein paar Meter entfernt steht ein Jugendteam auf dem Basketballfeld und beobachtet das Spiel durch einen Zaun. Jugendliche begehen Taten oft zusammen, beim Turnier müssen sie deshalb getrennt werden. „Für uns ist das heute wie die Champions League“, heißt es: „Es war noch nie so ruhig im Gang wie an den letzten Abenden. Jeder hat seine Zelle sauber gemacht, jeder wollte dabei sein.“ Ein Gefängnis im Fußballfieber.
Wochenlang haben sie über das Turnier gesprochen, darauf hingefiebert. In der Wohngruppe wurde die Musikanlage am Morgen des Tags der Tage noch mal extra laut aufgedreht. „Unser Betreuer unterstützt uns“, sagt ein Gefangener: „Für ihn sind wir nicht nur Nummern oder Typen in einer Zelle, wir haben Namen. Ihm wollen wir heute den Sieg schenken.“
Es geht nicht nur um ein bisschen kicken hinter Gittern. Die acht Quadratmeter große Zelle für einen Vormittag gegen das rund 1200 Quadratmeter große Fußballfeld tauschen zu dürfen, hat viel mit Vertrauen zu tun. Und mit der Wirkung des Sports. „Sie können sich mal anders zeigen. Es geht nicht um Probleme, sondern darum, was sie können“, sagt eine Sozialmitarbeiterin. „Frustrationstoleranz, Selbstwertgefühl, beim Sport werden so viele wichtige Bereiche spielerisch vermittelt. Ohne, dass sie explizit thematisiert werden. Die Erlebnisse heute werden wir immer wieder aufgreifen können“, sagt eine Mitarbeiterin des psychologischen Dienstes.
Im Gefängnisalltag dürfen die Jugendlichen in der Regel viermal in der Woche zum Sport. Neben dem Fußball- und Basketballplatz gibt es noch ein Beachvolleyballfeld, eine große Sporthalle für den Winter und einen Kraftraum.
Auch Anstaltsleiter Clemens Schmid schaut trotz vollem Terminkalender beim Turnier vorbei. „Alle sind motiviert“, sagt er und räumt dann mit einem Lächeln ein: „Die Mitarbeiter vielleicht sogar noch mehr als die Gefangenen.“
Duschgel, Schokolade und eine Kiste Spezi
Auf dem Feld kommt es zum Elfmeterschießen. Paraden zeigen in Stadelheim. Die weiße Weste bewahren, das Ziel aller Torhüter, bekommt hinter Gittern noch mal eine andere Bedeutung. „Bruder, gib ihm“, ruft ein Gefangener. Und Bruder gibt ihm, Elfmeter versenkt. „Der schnöde Alltag wird bewusst unterbrochen, so ein Fußballturnier gibt ganz andere Reize“, sagt Schmid.
Die Sozialtherapeutische Station für Gewaltstraftäter kann den Titel nicht verteidigen, eine Jugendmannschaft setzt sich durch. Der Pokal wird bis zur nächsten Austragung auf der Gewinner-Station ausgestellt. Als Erinnerung an diesen Vormittag mit Beamten auf Bierbänken, tanzenden Trainern und grätschenden Gefangenen. Schiedsrichter Lang muss nicht einmal die Rote Karte zücken. „Ein sehr faires Turnier“, sagt er. Alle Mannschaften bekommen eine Kiste Spezi, für die Finalisten gibt es zusätzlich Duschgel und Schokolade.
Nach der Ehrung verschwinden die Bierbänke wieder, die Sonnenschirme, auch die Kreidemarkierungen werden schnell verblassen. Doch an den Gesprächen auf dem Weg Richtung Zellenblock merkt man, dass der Stadelheim CUP noch für einige Zeit die Hofgang-Gespräche mit Leben füllen wird. Ein Gefangener, der einen Ballsack trägt, sagt: „Heute hat es sich nicht nach Knast angefühlt.“
- Nico-Marius Schmitz -

Foto © Stefan Matzke

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